Aktionstag gegen den Schmerz

Am 7. Juni ist der bundesweite „Aktionstag gegen den Schmerz“ mit dem die Deutsche Schmerzgesellschaft zusammen mit ihren Partnern und teilnehmenden Kliniken einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Schmerzpatienten und deren Angehörigen in Deutschland leisten möchte.

Gürtelrose kann einen schweren Verlauf haben – mit heftigen, lang andauernden Schmerzen. Ein Gespräch mit PD Dr. med. Michael A. Überall (Foto: privat), medizinischer Leiter des Privaten Instituts für Neurowissenschaften in Nürnberg, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und Präsident der Deutschen Schmerzliga.

Dr. Überall

Warum geht die Viruserkrankung Gürtelrose häufig mit starken, anhaltenden Schmerzen einher? 

Aufgrund des Befalls sensibler Nervenzellen – also der Nervenfasern, die für die Registrierung und Übermittlung von Empfindungen wie z. B. Schmerzen, Temperatur, Berührung oder Druck, etc. aus dem Körper über das Rückenmark an das Gehirn verantwortlich sind – führt die akute Gürtelroseerkrankung in der Regel zu starken und mit den üblichen Mitteln nur selten ausreichend behandelbaren Schmerzen. Ursache hierfür ist der Umstand, dass die durch das Varizella-Zoster-Virus ausgelösten Entzündungsreaktionen nicht nur die sichtbaren Hautbereiche betreffen, sondern auch die Nervenfasern, über die sich das Virus lokal ausgebreitet hat. Durch diese Schädigung wird das Leitungsverhalten der Nervenzellen massiv verändert. Vergleichbar ist dies mit einem Stromkabel, bei dem die isolierenden Schutzschichten zwischen den stromleitenden Kabelabschnitten beschädigt wurden und Kurzschlüsse entstehen. Für Betroffene resultieren daraus nicht nur quälende Dauerschmerzen wechselnder Intensität infolge der lokalen Hautentzündungen, sondern zusätzlich auch noch Miss- bzw. Fehlempfindungen sowie hochintensive, unvorhersehbar eintretende, elektrisierend einschießende, Schmerzspitzen infolge der direkten Nervenschädigung, der akuten Zosterneuralgie.
Aus diesem Grund gilt die akute Gürtelrose auch als schmerztherapeutischer Notfall und sollte vorrangig und frühzeitig schmerzmedizinisch versorgt werden.

Steigt im Alter aufgrund des nachlassenden Immunsystems auch die Gefahr, einen schweren Gürtelroseverlauf mit heftigen Nervenschmerzen zu erleiden?

Durch die beschriebenen Entstehungsmechanismen sind ältere Menschen durch eine Gürtelrose nicht nur bevorzugt, sondern in der Regel auch stärker betroffen als jüngere. Hinzu kommt die mit zunehmendem Alter steigende Zahl an Begleiterkrankungen und Begleittherapien, die wirksame und verträgliche Therapiealternativen beschränken oder den Einsatz wegen drohender Wechsel- und Nebenwirkungen erschweren. 

Wie beschreiben Patienten solche Schmerzen?

Infolge einer frühzeitigen Nervenschädigung beschreiben Betroffene einen Juckreiz sowie Störungen der Sensibilität und Schmerzen bereits vor dem ersten Auftreten der typischen Hautsymptome.
Der Schmerz selbst wird von Betroffenen meist als Mischung aus einem wellenförmig anhaltenden, quälenden Dauerschmerz in Verbindung mit nichtschmerzhaften Missempfindungen (wie z. B. Juckreiz, Ameisenlaufen, Prickeln und Wärmeempfindung) beschrieben, die von meist spontan oder durch Berührung oder Bewegung ausgelösten elektrisierenden Schmerzspitzen durchbrochen werden. Die betroffene Hautregion selbst ist durch die lokalen Entzündungsrektionen berührungsempfindlich und angeschwollen. Zusätzlich entwickeln viele Betroffene, aufgrund ihrer Bemühungen zur Vermeidung berührungsbedingter Schmerzattacken, Fehlhaltungen und sekundäre Muskelschmerzen. Die dokumentierten Schmerzintensitäten sind hoch, Spitzenwerte werden von Patienten als extrem, Dauerschmerzen als stark bis sehr stark beschrieben. Schmerzfreie Phasen fehlen in der Regel völlig.
Depressive Verstimmungen und Angst, vor allem auch durch die erlebte Hilflosigkeit und Erfahrung mit unzureichend wirksamen Therapien, führen in Verbindung mit den immer wieder unvorhersehbar eintretenden Schmerzattacken und Schlafstörungen zu psychischen Veränderungen, die im Extremfall im Vollbild einer traumatischen Belastungsstörung enden können.

Inwieweit ist der Alltag der Patienten durch die Schmerzen beeinträchtigt? 

Für viele Betroffene gehören die durch die Gürtelrose erlebten Schmerzen zu den schlimmsten Erlebnissen ihres bisherigen Lebens. Durch die Belastung rund um die Uhr wird nicht nur die Fähigkeit zur Teilhabe an den normalen Aktivitäten des täglichen Lebens beeinträchtigt, sondern auch die natürlichen Quellen der Erholung (insbesondere der Nachtschlaf) gestört. Die Berührungsempfindlichkeit in den von der Gürtelrose betroffenen Hautbereichen ist bisweilen so stark, dass selbst das Tragen leichter Kleidung zu schweren Schmerzattacken führt und das Ausmaß der begleitenden Missempfindungen unerträglich macht. Die sich dadurch ergebende Notwendigkeit des Verzichts auf Kleidung führt zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung von Selbstwertgefühl und der Fähigkeit zur aktiven Teilhabe am privaten und gesellschaftlichen Leben.

Was ist eine Post-Zoster-Neuralgie und wie kommt es dazu?

Die Post-Zoster-Neuralgie (PZN) ist ein Schmerzsyndrom, welches auf eine akute Gürtelroseerkrankung folgt. PZN definiert sich dadurch, dass entweder

  • die Schmerzen trotz Abheilung der Hauterscheinungen über mehr als drei Monate fortbestehen oder
  • die Schmerzen nach einem mehr oder weniger langen beschwerdefreien Intervall wieder neu auftreten und dann anschließend andauern

Unter allen möglichen Spätfolgen der Gürtelrose ist die Post-Zoster-Neuralgie die häufigste und betrifft zwischen 5 - 30% aller Gürtelrosepatienten. Altersspezifische Häufigkeitsraten, Beschwerdeintensität und Dauer steigen nach dem 50. Lebensjahr steil an und erreichen für die Gruppe der über 80-jährigen Menschen eine Rate von über 35%. Zusätzlich begünstigende Faktoren für die Entstehung einer PZN ist eine unzureichende Behandlung der akuten Gürtelroseerkrankung mit länger andauernden Entzündungsreaktionen und Nervenschädigungen.

Im Gegensatz zu den Schmerzen der akuten Gürtelrose dominieren bei der PZN die sogenannten neuropathischen Schmerztypen. Der Schmerzcharakter wird dabei vorwiegend als brennend, spitz und scharf beschrieben. Neben einer Überempfindlichkeit auf leichte Schmerzreize, der sogenannten Hyperalgesie, kann auch eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, die auch als Allodynie bezeichnet wird, ein Symptom darstellen. Dabei können selbst leichte Berührungen der Haut, z.B. verursacht durch einen Windhauch, zu starken Schmerzen führen.

Mehr noch als die neuropathischen Schmerzen der akuten (zeitlich meist auf zwei bis vier Wochen begrenzten) Gürtelroseerkrankung beeinflusst die mitunter mehrere Monate bis Jahre andauernde Post-Zoster-Neuropathie das Leben Betroffener. Die meist schwerwiegenden Beeinträchtigungen von körperlicher und seelischer Lebensqualität sowie die Einschränkungen der Teilhabe am privaten, sozialen und beruflichen Leben führen zu schwerwiegenden psychosozialen Beeinträchtigungen des gesamten Lebensumfeldes inkl. schwerer Depressions-, Angst- und Stressstörungen.

Wie lange können die Schmerzen bei einer Post-Zoster-Neuralgie anhalten?

Die Dauer ist variabel und steigt mit dem Alter der Betroffenen an. Bei 20% der über 60-jährigen Patienten können die Beschwerden länger als ein Jahr anhalten.

Wie kann den Schmerzen oder einer Post-Zoster-Neuralgie vorgebeugt werden?

Ziel sollte es sein, bei Betroffenen nicht nur die Beschwerden frühzeitigst und möglichst vollständig zu lindern, sondern auch die zugrundeliegenden Ursachen (d.h. die durch Virusvermehrung und -ausbreitung ausgelösten Schädigungen im Bereich von Nerven und Haut) so rasch und stark wie möglich zu behandeln. In kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass durch den frühzeitigen Einsatz geeigneter antiviraler Therapien nicht nur die Dauer und Schwere der akuten Gürtelroseerkrankung positiv beeinflusst, sondern auch Folgeerscheinungen signifikant gesenkt werden können. Dennoch gilt gerade bei älteren Menschen: Vorbeugen ist besser als Heilen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich für diesen Personenkreis (sowie weitere Menschen mit bekannten Risikofaktoren) einer Gürtelrose vorbeugend durch Impfung zu begegnen.