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Gürtelrose im Alter

Lesezeit: 3 min

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22 April 2022

Fragen an Dr. med. Andreas H. Leischker, M.A. – Chefarzt und Leiter der Geriatrie der Rehabilitationsklinik Alexianer Tönisvort GmbH in Krefeld GmbH. Dr. Leischker ist Gründungsmitglied der „AG Impfen“ der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

Dr. Leischker
Dr. med. Andreas H. Leischker, M.A. – Chefarzt und Leiter der Geriatrie der Rehabilitationsklinik Alexianer Tönisvort GmbH

1.) Gerade für ältere Menschen ist eine Gürtelrose gefährlich. Können Sie erklären, warum mit zunehmendem Alter das Erkrankungsrisiko steigt?
Das Alter ist der Hauptrisikofaktor für eine Gürtelrose-Erkrankung. Über 95 Prozent der über 60-Jährigen tragen das Gürtelrose-Virus nach einer Windpocken-Erkrankung – meist in Kindertagen – in sich. Nach den akuten Windpocken verbleibt der Erreger, das Varizella-Zoster-Virus, im Körper. Es zieht sich in die Nervenwurzeln im Rückenmark zurück und kann Jahrzehnte später, wenn das Immunsystem alters-, krankheits- oder stressbedingt geschwächt ist, als Gürtelrose reaktiviert werden.

Die Abwehrkräfte unseres Immunsystems nehmen bereits ab dem 50. Lebensjahr ab. Davon ist ganz besonders die Abwehr in den Körperzellen betroffen. So nehmen die Anzahl und die Leistungsfähigkeit der „natürlichen Killerzellen“ und der „Fresszellen“ (medizinisch Makrophagen) im Alter deutlich ab. Die Makrophagen sind die erste Verteidigungslinie des Körpers im Kampf gegen Infektionen. Sie verschlingen Bakterien, Viren oder Giftstoffe und zerlegen sie in ihre Bestandteile. Danach kann das Immunsystem die Erreger erkennen und bekämpfen. Um ausreichend Makrophagen bilden zu können, ist der menschliche Körper auf die Thymusdrüse angewiesen. Sie ist maßgeblich an der Produktion der Makrophagen beteiligt. Doch auch die Thymusdrüse verliert im Laufe des Lebens an Kapazität: So hat der Thymus eines alten Menschen nur noch 10 Prozent seiner ursprünglichen Größe und produziert dementsprechend weniger Immunzellen. Zusätzlich nimmt die Leistungsfähigkeit der antikörperbildenden „Gedächtniszellen“ mit dem Alter ab. Diese Zellen sind das immunologische Gedächtnis des Körpers. Wenn weniger Gedächtniszellen gebildet werden, nimmt auch die körpereigene Abwehr gegen eindringende Krankheitserreger ab.

Das geschwächte Immunsystem macht ältere Menschen anfällig für Infektionskrankheiten. Als Folge kann z. B. das Varizella-Zoster-Virus in den Nervenwurzeln im Rückenmark reaktiviert werden und eine Gürtelrose verursachen. Ab einem Alter von 50 Jahren erhöht sich das Risiko, an einer Gürtelrose zu erkranken, deutlich. Die Grafik zeigt, wie stark das Erkrankungsrisiko von Gürtelrose im Alter ansteigt.
Diagramm-Alter-Gürtelrose

2.) Welche weiteren Auslöser – neben einem nachlassenden Immunstatus – gibt es?
Sowohl physischer als auch psychischer Stress schwächen das Immunsystem. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zustand über längere Zeit anhält. Bei „Dauerstress“ schüttet der Körper sogenannte „Stresshormone“ aus. Neben dem als „Stresshormon“ bekannten Adrenalin wird auch Cortisol, ein körpereigenes Kortison, ausgeschüttet. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel schwächt das gesamte Immunsystem. Durch die Stressreaktion werden weiße Blutkörperchen aktiviert und vom Knochenmark ins Blut abgegeben. Die weißen Blutkörperchen, deren Aufgabe die Abwehr von Krankheitserregern ist, fehlen dem Körper nach dem stressauslösenden Ereignis. Ein typisches Beispiel dafür ist der Marathonläufer, der in den Tagen nach dem Marathon anfälliger für Infekte ist. Glücklicherweise dauert eine Abwehrschwäche aufgrund sportlicher Extremeinsätze meist nur ein paar Tage. Anders verhält es sich bei Menschen, die an einer Depression leiden. Diese stehen unter „Dauerstress“, weshalb ihr Cortisolspiegel dauerhaft erhöht ist und sie entsprechend anfälliger für Infektionen sind. Auch junge Menschen, die an einer Depression leiden, erkranken deutlich häufiger an Gürtelrose.

3.) Welche Rolle spielen Stress oder andere mentale Belastungen wie Depressionen?
Während der COVID-19-Pandemie sind beispielsweise in Brasilien deutlich mehr Patient*innen an Gürtelrose erkrankt als in den vorherigen Jahren. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich die Bevölkerung durch die Auswirkungen und Einschränkungen durch die Pandemie (Ausgangssperre, Verlust persönlicher Kontakte, wirtschaftliche Not) in einem anhaltenden Stresszustand befindet, der die Abwehr schwächt und somit die Gürtelrose-Fallzahlen in die Höhe treibt.

4.) Vermehrt wird von Gürtelrose-Fällen nach COVID-19-Erkrankungen berichtet. Welchen Zusammenhang gibt es hier?
In der Tat besteht hier ein Zusammenhang. Wer an COVID-19 erkrankt, hat ein um 15 Prozent erhöhtes Risiko, zusätzlich an Gürtelrose zu erkranken. Das Risiko, so schwer an einer Gürtelrose zu erkranken, dass man stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden muss, steigt sogar um 21 Prozent. Wir vermuten, dass COVID-19 die T-Zellen (= weiße Blutkörperchen) und somit die körpereigene Abwehr schwächt. Dadurch können sich die Varizella-Zoster-Viren in den Nervenwurzeln im Rückenmark vermehren und eine Gürtelrose kann ausbrechen. Gerade in der Pandemie ist es also wichtig, vorzusorgen und sich gegen Gürtelrose impfen zu lassen.

5.) Viele Menschen denken bei Gürtelrose immer noch „Das betrifft mich nicht“. Wie hoch ist der Anteil an Gürtelrose-Patient*innen in Ihrer Klinik und wer ist potenziell gefährdet?
Das ist ein trügerischer Irrglauben: Über 95 Prozent aller Menschen über 60 Jahren tragen den Erreger in sich und jeder zweite Mensch über 85 Jahren erkrankt an Gürtelrose. Die meisten dieser Infektionen werden in der Hausarztpraxis behandelt. In der Klinik sehe ich regelmäßig Patientinnen und Patienten, bei denen die Infektion so schwer ist, dass sie stationär aufgenommen werden müssen.

6.) Wer an Gürtelrose denkt, dem kommt meist unmittelbar die Bläschenbildung am Oberkörper in den Sinn. Sind die Anzeichen einer Gürtelrose immer ähnlich oder gibt es weitere oder andere typische Merkmale und Symptome?
Neben den Bläschen gibt es noch viele andere Symptome. In etwa 80 Prozent der Fälle kommt es noch vor der Bläschenbildung zu sehr starken, oft als „einschießend“ beschriebenen Nervenschmerzen. Daneben treten oft ein allgemeines Schwächegefühl, leichtes Fieber und Kopfschmerzen auf.

7.) Werden die Krankheitsverläufe mit steigendem Alter schwerer?
Ja, je älter ein Mensch ist, desto schlechter kann der Körper das Gürtelrose auslösende Varizella-Zoster-Virus bekämpfen. Häufig erleiden Betroffene starke, lange anhaltende Schmerzen, die sich mit den üblichen Schmerzmitteln nur schlecht behandeln lassen. Bei bis zu 20 Prozent der über 60-Jährigen halten die Schmerzen länger als ein Jahr an.

8.) Als Kliniker sehen Sie die akuten Gürtelrosefälle mit schweren Verläufen, was sind die häufigsten Komplikationen, mit denen ihre Patient*innen zu kämpfen haben?
Am häufigsten sehe ich in der Klinik Patient*innen, die an starken, langanhaltenden Schmerzen, der gefürchteten Post-Zoster-Neuralgie, leiden. Oft sind die Schmerzen so stark, dass die Patient*innen zur Schmerzeinstellung stationär im Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Wenn die Gürtelrose die Augenregion betrifft, können schwere Entzündungen der Hornhaut, des Augenhintergrundes und/oder ein „Grüner Star“ auftreten, schlimmstenfalls können diese Komplikationen zur Erblindung führen. Eine Gürtelrose im Bereich eines oder beider Augen sollte immer stationär mit Medikamenten behandelt werden. Besonders bei stark abwehrgeschwächten Patient*innen kann sich das Varizella-Zoster-Virus im gesamten Körper ausbreiten und so die Haut am ganzen Körper und alle inneren Organe befallen.

9.) Was raten Sie älteren Menschen, um sich bestmöglich vor einer Gürtelrose zu schützen?
Ältere Menschen sollten auf jeden Fall mit einer von der STIKO (= Ständige Impfkommission) empfohlenen Standardimpfung vorsorgen. Die Impfung mit dem Totimpfstoff bietet auch alten Menschen einen Schutz gegen Gürtelrose von über 90 Prozent. Um einen guten und langanhaltenden Impfschutz zu erreichen, sollten zwei Dosen – am besten im Abstand von zwei bis sechs Monaten – verabreicht werden.

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