Leben mit HIV/Aids in München: die Münchner Aids-Hilfe stellt sich vor

Heute zu Gast: Dr. Tobias Weismantel, Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe e.V.
Im Interview sprechen wir über ihn, seine Arbeit und die Welt-AIDS-Konferenz in München

Tobias Weismantel

Was genau macht eigentlich die Münchner Aids-Hilfe? Für diese und viele weitere Fragen stand uns Dr. Tobias Weismantel, Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe (siehe Foto, Copyright: Erwin Harbeck/CSD München) Rede und Antwort.

Die Münchner-Aids-Hilfe wurde 1984 gegründet, somit gehören Sie zu einer der Interessenvertretungen, die seit Beginn der HIV-Pandemie für Menschen mit HIV da sind. Erst Ende Mai haben Sie 40-jähriges Jubiläum gefeiert. Wie sind Sie zur Münchner Aids-Hilfe gekommen, was bedeutet Ihnen persönlich die Arbeit dort?

Ich habe persönlich und beruflich eine lange Reise hinter mir. Vom Studium der Theologie mit Dissertation in Sprachphilosophie, über Journalismus und Pressearbeit bis zur betriebswirtschaftlichen Tätigkeit in der Geschäftsführung eines katholischen Fachverbandes bzw. -verlages. Eine ähnlich lange Reise hatte ich auch zu mir selbst. Ich konnte mich erst spät dazu durchringen, zu meiner Bi- bzw. heute Homosexualität zu stehen. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich einfach nur authentisch und ich selbst sein wollte – sowohl privat als auch beruflich. Und so es, dass ich mich im Jahr 2021 als Geschäftsführer der Aids-Hilfe bewarb. Bei allem Wandel ist eines immer gleichgeblieben: Ich möchte dazu beitragen und Bedingungen mitgestalten, die ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben ermöglichen. Dafür setze ich mich auch in der Aids-Hilfe ein. Wir sind inzwischen eine Gesundheits- und Sozialinstitution mit fast 80 Mitarbeitenden in unterschiedlichen sozialen Feldern - wir helfen LGBTIQ*, queeren Senior*innen, trans* und inter* Personen, Erwerbslosen, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, genauso wie Menschen mit HIV und Aids, die auch heute noch oft unter Diskriminierung leiden. Hier wirken zu können, ist ein Geschenk.

In mehr als 40 Jahren HIV/Aids hat sich viel getan – welche Entwicklungen waren für die Münchner Aids-Hilfe entscheidend, woran müssen wir als Gesellschaft noch weiter arbeiten?

Tobias Weismantel

Die Gründungsphase der Münchner Aids-Hilfe war zum einen bestimmt durch die Erschrockenheit und die Machtlosigkeit gegenüber dieser neuen Krankheit. Ich erinnere mich, als das Magazin ‚Der Spiegel‘ Aids als „Tödliche Seuche“ bezeichnete, der viele Menschen zum Opfer fielen. Zum anderen aber auch, vor allem in München und Bayern, durch eine rigide Aids-Politik. Zu Beginn wollte die Münchner Aids-Hilfe zum einen für die Menschen mit HIV/Aids, für die Sterbenden und deren Angehörige da sein, aber auch politische und gesellschaftliche Lobbyarbeit leisten und Stimme sein für die Menschen, die diskriminiert und abgestempelt waren. Es entwickelte sich zunächst das Service- und Pflegezentrum der Aids-Hilfe sowie ein Hospiz, das wir gemeinsam mit Partnern betrieben. Durch die bessere medizinische Versorgung änderten sich die Bedarfe der Menschen mit HIV und Aids. Oftmals gab es Diskriminierung am Arbeitsort, wenn überhaupt eine Arbeitsstelle gefunden werden konnte. Um den Weg in das Berufsleben zu erleichtern, gründeten wir unseren Bereich ‚Arbeit und Beschäftigung‘.

Unsere psychosoziale Beratungsstelle betreut Menschen mit HIV und Aids seit den Anfängen und widmet sich zugleich der Prävention und Testung von sexuell übertragbaren Krankheiten. Hinzu kamen diverse Beratungsstellen und weitere Bereiche.

Unser Leitwort heißt „Engagement für Gesundheit und selbstbestimmtes Leben“ und – wo das nicht möglich ist, entstehen Herausforderungen und Handlungsfelder. Mit Blick auf HIV und Aids ist die besondere Herausforderung für uns zweierlei: Zum einen Prävention und Aufklärung, damit die UN-Ziele 95-95-95 (95 % der Menschen mit HIV kennen ihren HIV-Status, 95 % der Menschen mit HIV erhalten eine antiretrovirale Therapie und bei 95 % der Menschen mit HIV ist die Virenlast unter der Nachweisgrenze) erreicht werden können, zum anderen in der Gesellschaft dafür sorgen, dass Diskriminierung und Stigmatisierung ein Ende finden. Letzteres betrifft besonders die Bereiche Medizin, Arbeitswelt, Migration, aber auch Zwangstestungen und das Sexualleben. Weltweit betrachtet, stehen wir noch vor ganz anderen Herausforderungen.

Die Welt-Aids-Konferenz (AIDS) steht vor der Türe - nach mehr als 15 Jahren findet die Konferenz erstmals wieder in Europa statt. Sie sind mit vielen Projekten vor Ort im Global Village, auch das Kunstprojekt “HIV Science as Art” - gehört dazu - was macht die Projekte rund um die AIDS so besonders? Und worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?

Dass die AIDS nach München kommt, ist für uns etwas Besonderes und hat auch etwas Symbolisches. 40 Jahre nach den massiven Diskriminierungen der an HIV und Aids erkrankten Menschen trifft sich nun die „Welt“ in München. München ist ein Ort, an dem viel für Prävention und die Pflege von erkrankten Menschen getan wird. Dass sich 15.000 Menschen aus aller Welt bald in München versammeln, ist aber auch ein Signal: „Seht her! Aids ist nicht weg, der Kampf gegen HIV und Aids ist ein globales Thema, das unterschiedlichste Ebenen betrifft: vom Klimawandel, über Migration bis hin zur Frage der Medikation, schließlich sterben jährlich etwa 630.000 Menschen immer noch an Aids.“ Der Kongress schafft auch in Deutschland Aufmerksamkeit für ein Thema, das durch andere Krankheiten etwas in den Hintergrund geraten ist. Die AIDS 2024 ist ein globales Event, das sich den Herausforderungen der Krankheit annimmt und gleichzeitig im Global Village zeigt, wie bunt, vielfältig und engagiert die Community ist. Das ist einmalig und das Besondere an den Projekten. Sie zeigen, wie wichtig es ist, sich weltweit zu solidarisieren, auszutauschen und sich zu vernetzen - im Bereich der Wissenschaft aber auch in der Community.

Für mich persönlich gehört sicherlich die Ausstellung „HIV Science as Art“, die dank der Unterstützung von ViiV Healthcare möglich gemacht wurde, zu meinen persönlichen Highlights. Ich freue mich auch auf die Eröffnungsveranstaltung im Global Village, bei der ich in diesem Jahr als Co-Chair und Impulsgeber dabei sein darf: Wie können wir – in Generationen gedacht – voneinander lernen? Welche Impulse können wir uns gegenseitig geben? Auf welche Weise können wir voneinander profitieren? Für mich ist die ganze Konferenz ein Highlight - und mein Appell zum Schluss: Wir können nur gewinnen, wenn wir miteinander und zusammen an Lösungen und Entwicklungen arbeiten.

Hier gibt es weitere Informationen über die Münchner Aids-Hilfe: https://www.muenchner-aidshilfe.de/