Dr. Gitte Neubauer (Foto unten: privat) ist Geschäftsführerin des Tochterunternehmens Cellzome und befasst sich mit einem ganz speziellen Bereich: Omics. Was das genau ist und was Gitte in ihrer Forschung antreibt, beantwortete sie im Interview.
Gitte, wie hat Deine Karriere in der Forschung begonnen?
Meine Karriere fing bereits im Alter von 11 Jahren an. Meine Eltern waren der Meinung, dass ich nicht das Gymnasium besuchen brauche, sondern lieber die elterliche Landwirtschaft übernehmen solle. Darum machte ich zunächst einen Realschulabschluss und absolvierte eine Ausbildung zur technischen Assistentin. Als ich dann meine erste Stelle an der Uni Heidelberg antrat, entdeckte ich nicht nur meine Leidenschaft für Laborarbeit, sondern auch mein Forschungsinteresse an der Molekularbiologie. Ich wollte ganz einfach wissen, wie das Leben funktioniert! Deshalb studierte ich nach dem nachgeholten Abitur Biochemie in London und promovierte anschließend im Fachbereich Proteomik in Heidelberg.
Und nach Deiner Promotion hast Du Cellzome gegründet?
Nach der Promotion stellte ich mir die Frage: Möchte ich lieber eine akademische Karriere oder doch in die Großindustrie? Und wenn man sich nicht für eine der Optionen entscheiden kann, muss es vielleicht ein neues Unternehmen sein. Ich hatte das Glück, Cellzome zusammen mit sehr talentierten Kollegen gründen zu können und dort das zur Anwendung zu bringen, was ich in meiner Doktorarbeit erforscht habe. Natürlich war es super spannend, ein ganzes Unternehmen mitaufzubauen – ich habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt.
Cellzome und GSK |
Dr. Gitte Neubauer hat im Jahr 2000 Cellzome gemeinsam mit einem Team von Forschern gegründet. Cellzome ist als Ausgliederung aus dem Europäischen Molekularbiologie Institut (EMBL) in Heidelberg, eine der führenden Forschungsinstitutionen, entstanden. Das hat den Vorteil, neue wissenschaftliche Ansätze und Technologien in enger Kooperation mit dem EMBL ausprobieren zu können. GSK hat Cellzome 2012 als hundertprozentige Tochtergesellschaft eingegliedert. Seitdem verstärken die rund 100 Cellzome-Mitarbeitenden die Arzneimittelforschung bei GSK. |
Was ist Dein Schlüssel zum Erfolg?
Was mich persönlich antreibt, ist meine grundsätzliche Neugier und der Wille, alles bis ins letzte Detail zu ergründen und zu verstehen – was für einen wissenschaftlichen Werdegang eine wichtige Voraussetzung ist. Ich hatte die Ehre, vom Präsidenten der Europäischen Kommission mit dem erstmals verliehenen EU-Innovationspreis für Frauen für die Umsetzung ihrer akademischen Forschung in die kommerzielle Anwendung ausgezeichnet zu werden. Ich glaube, ein entscheidender Faktor für diesen Erfolg war, dass wir mit unserem Ansatz bei Cellzome den Zahn der Zeit getroffen haben. Seitdem ist Cellzome wie ein Magnet für sehr gute Wissenschaftler aus der ganzen Welt geworden, und wir setzen hier ganz stark auf Teamwork. Wir kochen aber nicht nur unser eigenes Süppchen, sondern sind in ein starkes akademisches Netzwerk eingebunden. Das hilft uns, stets über den Tellerrand zu schauen und neue Kooperationspartner zu finden, um noch besser zu werden. Denn ein großer Motivator für mich und mein Team ist der Anspruch, höchste Qualität einzufordern, statt uns mit dem Status Quo zufrieden zu geben. Und genau darauf müssen Patienten immer vertrauen können.
Was genau machen Du und Dein Team bei Cellzome?
Wir versuchen zu verstehen, wie sich Krankheiten manifestieren und wie verschiedene Arzneimittel auf molekularer Ebene wirken. Wir schauen uns zum Beispiel bei Tumoren genau an, welche molekularen Veränderungen in welchen Zellen vorgehen und wie sich diese verändern, wenn sie mit einem Wirkstoff in Verbindung kommen. Unsere sogenannten Omics-Technologien zur Analyse genetischer Informationen ermöglichen uns, die Gesamtheit der molekularen Veränderungen in Zellen und Geweben zu untersuchen: Wir können sehen, welche Gene aktiv sind, wie die resultierenden Transkripte (mRNA) in Proteine übersetzt werden und welche Konsequenzen das auf die Stoffwechselprodukte (Metabolite) hat. Mit dieser ‚molekularen Lupe‘ versuchen wir, die passenden Medikamente für Patienten zu finden, die wirklich davon profitieren, sowie neue Ansatzpunkte für neue Wirkstoffe mit einem geringeren Risiko für Nebenwirkungen zu finden.
Cellzome und Omics |
Cellzome setzt seine innovativen Technologien ein, um die molekularen Mechanismen von Krankheitsentstehung und Wirkstoffen zu verstehen. Mithilfe von Omics-Technologien (Genomik, Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik) kann die molekulare Zusammensetzung von Zellen erforscht werden. Welche Gene werden im Krankheitsverlauf an- oder abgeschaltet? Wie übersetzt sich das auf die Proteine und ihre Funktion? Welche Stoffwechselprodukte entstehen dabei? Wie wird dadurch die Funktion der Zelle, des Organs und des gesamten Organismus beeinflusst? Diese Fragen können mit Omics Technologien adressiert werden – damit steht eine ‚molekulare Lupe‘ zur Verfügung, um neue, maßgeschneiderte Behandlungslösungen gegen schwerwiegende Erkrankungen zu erarbeiten. |
Und woran forscht Cellzome zurzeit?
Wir wollen neue und bessere Lösungen für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen finden, die aktuell noch nicht angemessen behandelt werden können. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Erkrankungen des Immunsystems und Krebserkrankungen – bei Krebserkrankungen geht es natürlich auch darum, wie wir das Immunsystem dazu bringen können, den Krebs zu bekämpfen. Die Immun-Onkologie hat in den letzten Jahren große Erfolge erzielt, allerdings noch nicht für alle Patienten. Wir untersuchen gerade, welche molekularen Eigenschaften ein Tumor in seiner Mikroumgebung haben muss, damit der Patient von einer Behandlung profitiert. Dazu untersuchen wir Tumore und behandeln sie im Labor mit Wirkstoffen oder Kombinationen aus Wirkstoffen und schauen dann, wie die Tumor- und Immunzellen, die Teil des erkrankten Gewebes sind, darauf reagieren. So können wir herausfinden, welche molekularen Eigenschaften ein Tumor hat, der auf ein Medikament anspricht. Diese Marker müssen in der Klinik gemessen werden, um gezielt die Patienten zu behandeln, die auch davon profitieren können. Diese Vorgehensweise beruht auf modernsten Technologien in der Gewebekultur, der Omics-Analytik und der Datenauswertung, genauso wie auf einem tiefen Verständnis der Biologie. Die Möglichkeiten, die in diesem Bereich durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zur Verfügung stehen, werden uns in Zukunft dabei helfen, Laborergebnisse in die Klinik zu übersetzen.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft von Cellzome und GSK?
Ich wünsche mir großartige, neue Medikamente, bei denen wichtige Beiträge aus Heidelberg kamen – und vielleicht, dass sich unsere Cellzome-Band zu einem ganzen Orchester entwickelt!