Leben mit Blutkrebs

 „Ich habe mich für das Leben entschieden.“

Patient photographs from Singapore

Laut Robert-Koch-Institut erkrankt in Deutschland mehr als jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens an Krebs. Die häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen sind Brustkrebs, Darm- und Lungenkrebs. Blutkrebserkrankungen wie das Multiple Myelom (MM) sind seltener und dadurch unbekannter. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan: Die eher ungünstigen Überlebenschancen haben sich durch neue, zielgerichtete Therapien erheblich verbessert. Viele Patienten können mit der Diagnose MM über viele Jahre hinweg ein weitgehend normales Leben führen. Eine dieser Patientinnen ist Brigitte Reimann (Foto: privat), die im Interview von ihren Erfahrungen berichtet und Krebspatienten damit Mut macht.

Frau Reimann, wie lange leben Sie schon mit dem Multiplen Myelom?

Portrait Brigitte Reimann

Im November 2002 erhielt ich die niederschmetternde Diagnose mit dem Satz: „Gehen Sie nach Hause und sprechen Sie mit Ihrer Familie – die Krankheit ist nicht heilbar.
Ihre Lebenserwartung beträgt ohne Therapie zwei Jahre, mit Therapie vier bis fünf Jahre.“ Danach folgten einige schlaflose Nächte mit quälenden Gedanken, wie ich mit dieser kurzen Lebenserwartung umgehen soll. Im November 2022 habe ich dann mit Familie und Freunden in Dankbarkeit den 20. Jahrestag meiner Diagnose gefeiert!

Wie ging es Ihnen nach dieser lebensverändernden Diagnose?

Ich musste schon oft in meinem Leben gesundheitliche Entscheidungen treffen, die ich immer gut lösen konnte, wenn ich mit mir und meinem Körper im Einklang war. Aber die Diagnose und die Art und Weise des Radiologen, mir meine kurze Lebenserwartung mitzuteilen, haben mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich war wie gelähmt, innerlich leer und hoffnungslos. Nach der Überweisung in eine Universitätsklinik und einem einfühlsamen Beratungsgespräch mit einer Myelom-Ärztin kam mein Kampfgeist langsam wieder zurück. Ich habe mich spontan entschieden, an einer Studie mit einer Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation teilzunehmen. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob die Chemo gefährlich oder giftig ist. Ich habe mich für das Leben entschieden und war bereit, für mein Leben zu kämpfen. Mir war klar, dass ich den Kampf auch verlieren konnte. Aber: Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren!

Was hat Ihnen geholfen, mit der Diagnose umzugehen?

Mir hat es geholfen, nicht die Krankheit zu leben, sondern zu lernen, mit der Krankheit zu leben. Ich warte nicht nach erfolgreicher Therapie zu Hause auf ein Wiederauftreten des Multiplen Myeloms (sog. Rezidiv). Das wäre verlorene Lebenszeit. Außerdem hat mich immer beruhigt, dass an neuen Substanzen geforscht wird.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Diagnose reagiert?

Damals konnten viele in meinem Umfeld nichts mit meiner Krankheit anfangen. Die Reaktionen waren oft Wegschauen, Wechseln der Straßenseite oder nur die nichtssagende Frage „Wie geht’s?“. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass viele Menschen nicht über Krebs sprechen können und Sorge haben, etwas Falsches zu sagen. Bei der Bewältigung geholfen haben mir meine Familie und gute Freunde. Aber auch der vertrauensvolle Austausch mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe. Dies rate ich auch anderen Betroffenen. Am Anfang ist es wichtig, sich in einem geschützten Raum auszutauschen.

Was wünschen Sie sich für Patienten mit Multiplem Myelom für die Zukunft?

Dass Myelom-Patienten in absehbarer Zukunft auf eine Heilung hoffen können oder eine Substanz erforscht wird, die es ermöglicht, mit Multiplem Myelom als chronische Erkrankung ein langes Leben zu führen.

Informations- und Unterstützungsangebote zum Multiplen Myelom finden Betroffene und Angehörige auf der Website der Selbsthilfe- und Patientenorganisation Myelom.Online e.V.